Mentalität, wer darüber ausführliche Aufsätze lesen möchte, dem empfehle ich Catenaccio07, leidenschaftlicher Rot Weiss Essen-Fan und obendrein ebenfalls Catlover. In diesem Beitrag wird es auch über Mentalität gehen. In der aktuellen Lage scheint ein Drittliga-Duell zwischen Rot-Weiss Essen und den Schanzern wahrscheinlicher den je.
Es gibt einige die halten Mentalität für etwas unsinniges. Entscheidend sei die Qualität auf dem Platz. Die reine Qualität der Einzelspieler. Wie wichtig Mentalität ist, zeigt sich an drei Beispielen aus dem Weltfußball. 2005 führte die Startelf des AC Mailand im Champions League-Finale im Atatürkstadion in Istanbul zur Halbzeit 3:0. Die Welt war sich einig, das Spiel gewinnt Liverpool nie im Leben. Wie soll das gehen? Zu souverän war Mailand über Liverpool hinweggefegt. Es dauert aber in der zweiten Halbzeit lediglich acht Minuten bis es 3:3 stand. Natürlich war da auch Glück dabei. Aber ab dem 3:2 war es ein Spiel der Mentalität. Liverpools Torwart Dudek, der als Zappelmann im Elfmeterschießen in die Geschichte einging, hielt alles was auf sein Tor kam. In der Verlängerung hielt er mit einer Monsterparade gegen Schewtschenko die Reds im Spiel. Im Elfmeterschießen machte Liverpool dann das Wunder perfekt und holte sich den fünften Henkelpott in der Geschichte. Was die Einzelspieler anging war Milan damals turmhoher Favorit. Noch heute schallt mir der Kommentatoren-Spruch: „Here we go. Mircales are possible“ im Ohr.
Generell scheint Liverpool ein Verein der Mentalität zu sein. Legendär war ebenfalls das 4:0 im Champions League-Halbfinale-Rückspiel gegen den FC Barcelona. Die Reds machten das unmögliche möglich. Was erstens an der guten mitreißenden Stimmung im Stadion lag und natürlich auch daran, dass die Mannschaft den Glauben nicht verlor. Außerdem hat Liverpool seit Jahren nicht nur gute Einzelspieler sondern auch Mentalitätsmonster wie Andrew Robertson oder Jordan Henderson, die ihre Mannschaft mitreißen und mit guten Leistungen vorangehen.
Auch so ein Mentalitätsmonster war der FC Bayern. Nach der Niederlage im Finale dahoam fegte der FCB über die Bundesliga wie ein Sturm hinweg. Der Frust der bitteren Niederlage trug die Bayern bis nach Wembley. Dort krönten sie ihre Saison mit dem Champions League-Sieg und holten das Triple. Eine Trotzreaktionssaison die zu drei Titeln führte. Super-Cup usw. mal nicht eingerechnet. Einen großen Anteil am Titel hatte freilich damals auch der Trainer Jupp Heynckes der den Frust der Bayern-Spieler in positive Energie und Dominanz ummünzte.
Gegen St. Pauli hat beim FCI eben etwas entscheidendes gefehlt. Die Giftigkeit, die Galligkeit, der unbedingte Wille. Ohne diese Attribute gewinnst du grundsätzlich keine Fußballspiele, aber schon gar nicht im Abstiegskampf. Die drei Spiele zuvor müssen aber ordentlich eingeordnet werden. Der 1. FC Nürnberg verlor nachdem 5:0 gegen den FCI mit 4:1 in Karlsruhe. Die Schanzer holten gegen Sandhausen einen Punkt (0:0). Ein Rumpelspiel das insgesamt sehr chancenarm war. Sandhausen hat sich aber aber vom Abstiegsabgrund abgesetzt. Die Sandhäuser haben nun neun Punkte Vorsprung auf einen Abstiegsplatz. Auf die Relegation sind es dagegen nur ein Punkt.

Interessant ist dabei auch der Blick auf die gelben Karten. Während Rostocks Spieler 67-mal eine Verwarnung kassierten, sahen Schanzer „nur“ 50-mal den gelben Karton. Sandhausens Spieler wurden 58-mal, Aues 54-mal. Freilich sind Gelbe Karten kein Qualitätsmerkmal. Aber im Keller ist vor allem auch Aggressivität wichtig.
Gegen Bremen kickte der FCI zwar gut mit, doch Werder war drückend überlegen. Wären die Bremer mit ihren Chancen nicht so schludrig umgegangen hätten sie die Partie schon lange entscheiden können. Am Ende entführten die Schanzer einen Punkt aus dem Weserstadion, gerade weil Bremen die Partie solange offen ließ.
St. Pauli musste gegen die Schanzer nicht mal mit 100 % spielen. Die Schanzer hatten keinen Zugriff, kamen nicht in die Zweikämpfe und spielten nach vorne überhastet, ungenau und auch ohne genauen Plan. Natürlich wirbelte der Doppelwechsel Heinloth-Neuberger und Neuburger-Stevanovic die Defensive durcheinander. Doch nachdem 2:1 durch Burgstaller war noch genügend Zeit auf der Uhr um wieder ins Spiel zurückzukommen. Interessanter erscheinen hier die Spielerwechsel von Trainer Rüdiger Rehm. Bis zur 82. Minute wartete Rehm bis er nochmal einen Dreierwechsel vornahm und Kutschke, Sulejmani und Gaus brachte. Vor allem eine mögliche weitere Verletzung hätte ihm den Handlungsspielraum genommen, begründete Rehm seine Entscheidung nachdem Spiel. Also wartete er beim Stand von 3:1, bis kurz vor Schluss, wohlwissend dass die Mannschaft keine zwei Tore mehr erzielen wird.

Ob frühere Wechsel nochmal zum Anschlusstreffer geführt hätten, ist freilich hypothetisch. Aber bei so einem Rückstand in der Tabelle muss eben alles versucht werden. Egal gegen welchen Gegner. Wer der Gegner ist, zählt schon lange nicht mehr. Aber die Uhr tickt, gegen den FCI.
Das Delta auf den Relegationsplatz bleibt bei zehn Punkten, auf den ersten Nichtabstiegsplatz elf Punkte. Elf Spiele sind noch zu gehen, auf eine Siegesserie oder einen richtigen dauerhaften Ruck deutet noch nichts hin. Für den Relegationsplatz waren in den letzten Saisons 33 Punkte, 37 Punkte oder 35 Punkte nötig. Die Schanzer haben aktuell 15 auf dem Konto, Rostock 25 Punkte. Das Delta aus der Hinrunde ist eine gigantische Bürde für die Schanzer.
Erschwerend kommt noch dazu, dass die Schanzer als eigentlich erfahrene Abstiegskämpfer noch nie mit so einem großen Rückstand in die Rückrunde gingen. 2011/2012 und 2018/2019 waren es drei und in der Bundesliga vier (in der Bundesliga ging man am Ende mit fünf Punkten Rückstand ins Ziel). Diese Saison ging der FCI mit elf Punkte Rückstand in die Rückrunde.
Aufgeben ist niemals eine Option. Solange es theoretisch möglich ist, muss das Team kämpfen. Doch dafür ist mehr Mentalität auf dem Platz nötig. Den Gegner an der Mittellinie mal rabiat stoppen, sich gegen jeden Widerstand stemmen, mit vollem Risiko bei Rückstanden wechseln. Selbst dann, kann es bei der aktuellen Tabellen-Konstellation trotzdem nicht reichen. Aber dann können sich Trainer und Spieler nichts vorwerfen lassen.
Alle Bilder: Roland Geier