Vor einigen Tagen machte ich einen ehrenamtlichen Termin für den 18. Dezember aus. Ich zuckte nicht einmal. Weil ich schlichtweg nicht wusste, dass an diesem Tag in Doha das WM-Finale angepfiffen wird. Bei den letzten Turnieren waren Weltmeisterschaften eine Art „Sperrzeit“. Der Spielplan wurde in den Kalender importiert, alle Termine die das Schauen vom WM-Spielen gefährden würden, verschoben oder abgesagt. Vor der WM kaufte ich sämtliche Sonderhefte, oraktle wer weit kommt im Turnier, in Tippenrunden eingetreten. Ich stöberte in der WM-Bibliothek der Süddeutschen Zeitung in alten Bänden und schwärmte von den vergangenen Turnieren. Es kribbelte einfach.
Ich denke vielen ging es bei den Turnieren auch so. Weltmeisterschaften waren große Höhepunkte. Weltmeisterschaften waren Pflicht. Weltmeisterschaften entfachten ein großes Feuer. Doch bei Katar war das nie so.
Warum das nicht so ist, glaube ist selbsterklärend. Seit der Vergabe berichten Medien kritisch über die Turniervergabe und die Umstände im Land Katar. Auch aktuell wird vielerorts diskutiert ob Fans, Politiker oder Funktionäre das Land bzw. das Turnier boykottieren sollten. Einige sagen auch, wenn man das Turnier schaut, dann mit der großen Lupe. Also kritisch und man sollte sich den Umständen (tausend Tote auf den Baustellen, fehlende Rechte für Homosexuelle usw.) bewusst sein.
Doch genau diese Argumentation hinkt, meiner Ansicht nach. Ich bin mir den Umständen seit Wochen und Monaten bewusst. Ich habe mich intensiv und kritisch mit der Turniervergabe beschäfitgt. Dafür möchte ich vor allen die großartige Podcastreihe „Beyond Qatar“ ins Feld führen. Wenn ich also das Turnier verfolge, billige ich ja genau die Umstände, denn ich kenne sie ja. Ganz abgesehen davon, dass mich dieses Turnier der Schande nicht im entferntesten juckt. Ich begegne diesem Turnier mit einer emotionalen Kälte wie nie zuvor.
Für sportlichen Boykott ist der Zug seit Jahren abgefahren. Doch die Fans haben durchaus einen Hebel. Laut Augsburger Allgemeine vom 09.11.2022 meldet der Einzelhandel, dass viele Unternehmen keine WM-Sonderaktionen starten und dass eine allgemeine Kaufrückhaltung zu bemerken ist. Das liegt einerseits an der Jahreszeit in der die WM stattfindet, andererseits aber auch daran, dass viele eben keine Steigbügelhalter für dieses Turnier sein wollen.
Was mich final zu meinen Gedanken führt. Ich werde das Turnier nicht im Fernsehen verfolgen. Ich versuche mich abzukapseln. Das „Zeitungsbuch“ mit dem Sportteil wird vor dem aufschlagen entfernt, die Kicker-App stumm geschaltet oder gar deinstalliert. Ich kenne die Umstände, ich weiß was in Katar „schief“ läuft und genau deswegen, darf ich dieses Turnier mir nicht ansehen. Punkt.
Die große Lupe können und müssen die Medien auf Katar richten. Das geschieht und ist auch gut so. Nur ein gewöhnlicher Zuschauer kann sowas eben nicht. Wir können die kritischen Berichte konsumieren und die Spiele schauen. Aber wer Spiele schaut legitimiert die FIFA und das Emirat Karar. Wer die ganzen Umstände weiß, legitimiert mit dem Konsumieren der Spiele, die Umstände oder bleibt dem Turnier eben fern und zeigt so, dass man dieses Turnier aktiv nicht unterstützt.
Jeder kann für sich entscheiden, wie er mit dem Turnier umgeht. Ich verstehe ebenso Menschen die sagen, ein Boykott ändert an den Bedingungen vor Ort nichts. Stimmt. Kritische Turniere und Sportveranstaltungen wie Olympia 1936 oder die WM 1978 in Argentinien gab es schon immer. Doch wir sind gesellschaftlich weiter, haben mehr Mittel in der Hand als damals und eben auch höhere Ansprüche an Sportturniere, zumindest moralisch. Den einzigen Hebel, den aber Fernsehanstalten und Sponsoren spüren ist, wenn die Quouten und die Umsätze sinken.
Die WM Katar 2022 zieht an mir vorüber. Dann widme ich mich dem Kochen, dem italienisch lernen und meine Freundin freut sich auch, wenn nicht drei Wochen durchgehend der Fußball läuft. Euro 2024 in Deutschland, wir sehen uns im Stadion und WM 2026 in den USA, Kandada und Mexiko, wir sehen uns vor dem Fernseher.